Aus der Eröffnungslaudatio zur Ausstellung „Vom Erscheinen und Verschwinden“

Auf ihre Arbeit angesprochen, betont Adelheid Rumetshofer: „ …was soll ich sagen, außer dass es um Stille, Zeit, Tiefe, Präsenz geht.“ Um es, wie sie sagt „auf den Punkt zu bringen“, verweist die Künstlerin auf einen ihr wichtig gewordenen Gedanken von der Homepage Kunstraum St. Virgil; dort steht geschrieben: „ Kunst soll helfen, mit dem eigenen Selbst und der Welt in Berührung zu kommen.“

Ein Teil dieser Welt / der Kunstwelt scheint der Malerin in den letzten Jahren abhanden gekommen zu sein.

Die Künstlerin erzählt von einer Initialzündung für ihre Serie „floatings“, als sie 2009 an einem Teich sitzend  und gedankenverloren vor sich hin blickend, ins Nichts starrte, in die verschiedenen Schichten der Leere und berichtet  „von einer Wahrnehmungsveränderung, die plötzlich mehrere Ebenen der Realität erfasste: Wasseroberfläche, Spiegelungen, Lichtreflexionen, das Grün unter der Wasseroberfläche“  – bewegter „Raum löste sich in flächig-floatende Farbebenen auf“. Für Adelheid Rumetshofer „gab es nun keine Geschichten mehr zu erzählen, keine Landschaft, keine Natur mehr zu malen“, stattdessen stieg ihr „Interesse für Farben und Farbklänge“, die die malerische Kontemplation über jeglicher Untiefe zwischen „Düsternis und Helligkeit ermöglicht“.

Um ihre Bilder für Assoziationen freizuhalten, verzichtet die Künstlerin auf eine Betitelung, benannt werden sie nach Farbe und Helligkeit: dark blues, blue and grey, black and blue…
Blau wird Grundfarbe, ist die Farbe ihres Grundes, ihres Mal-Grundes, ihres Untergrundes – in der malerischen Anwendung grundlos, gestalten diese Bilder alle nur erdenklichen Variationen räumlichen Sinnens. 

Von der Suche nach der blauen Blume wusste im 19. Jahrhundert der Schriftsteller Novalis zu erzählen. Seine Romanfigur entdeckt am Fuße eines Berges die Öffnung eines Ganges. Er betritt eine Höhle, in der sich ein Wasserbecken befindet, das er durchschwimmt bis zum anderen Ufer: „Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine (…) lichtblaue Blume, die (…) ihn (…) berührte.“

Auch Adelheid Rumetshofer ist malend auf der Suche nach dem, was berührt, was in der Welt ist, nach den Möglichkeiten im unmöglich Scheinenden und rührt mit dem Pinsel an das Unberührbare auf der anderen Seite, öffnet die Fläche zum Raum, den sie malerisch Schicht für Schicht erforscht und Andeutungen hinterlässt. Gleichzeitig weiten sich diese instabilen Schau- und Berührungszonen erkundend auch in den Raum des Betrachters.

Das Bild begreift uns und greift nach unserer Intimität.

Michel Serres in „Erfindet euch neu“:
„Ich kehre in jene Leere ein, in jenen ungreifbaren Hauch, (…). Ich denke weicher noch als jenes objektivierte Weiche, ich erfinde, wenn ich eins mit dieser Leere werde.
Erkennt mich nicht länger an meinem Kopf, an seiner prallen Wohlgefülltheit sowenig wie an seinem besonderen kognitiven Profil. Erkennt mich an seiner immateriellen Abwesenheit, an dem durchscheinenden Licht (…). An diesem Nichts.“

100 Jahre nach dem absoluten Nullpunkt im Schwarzen Quadrat lädt die Künstlerin unser Denken und Sinnen im blauen Bild wieder neu auf. Sie lädt dazu ein, ein- und aufzutauchen in weite / in weiten Räumen aus Humanismus und Aufklärung, fordert ballastfreies Denken in einer ständig neu sich gestaltenden Gesellschaft.

Die Künstlerin flutet unsere tägliche Wahrnehmung und versetzt uns in einen Art Schwebezustand aus Empfindsamkeit.
Alles Konkrete wie auch das Gestisch-Expressive lösen sich in Farbtonnebel auf, die vom Hellen ins Dunkle, vom Dunklen ins Helle wandern.
Anschaulichkeit entwickelt sich im Undeutlichsein der sich in sich bewegenden Flächenräume, alles entzieht sich, um herausfordernd in räumlichen Andeutungen zu Wort zu kommen.

Irgendwann wird das Innen zum Außen, das Außen kehrt sich ins Innere.
Schier grenzenlose Farbräume lassen Auge und Hirn nicht zur Ruhe kommen.
Laut werden diese Bilder nie, aber sie sprechen die deutliche Sprache der Unklarheit.
Raumerfahrung und Vertiefung führen gar zur Erkenntnis, dass auch wir die inneren und äußeren Räume zu gegebener Zeit zu entleeren haben.
Unterschiedliche Farbklänge öffnen verschiedene Türen und Fenster. Dabei zunehmender Entmaterialisierung ausgesetzt, bewegt  Katharsis uns aus Ausweglosigkeit – angesichts von so viel Bewegung in und um uns herum.
Im Rahmen dieses Wandlungs- und Verwandlungsprozesses erschaut sich der Betrachter, der ein-, ab- oder auftauchend erwacht mit geschärftem Blick, wenn Farbe das Bild floatet, unsere Bilder, den Denkraum im Geiste.

Hubert Nitsch: „Unendlichkeit und Atmosphärisches gehen eine Einheit ein und erzeugen eine Empfindung, die den Blick auf die Welt neu schärfen lässt, auch im Sinne einer Entspannung.“
Anwendung findet das Floating (engl. schweben, treiben) im medizinischen Bereich beispielsweise in der Schmerzmedizin oder bei Burn out, wobei die Menschen, abgeschotet von Außenreizen in konzentriertem Salzwasser quasi schwerelos an der Oberfläche treiben. Angestrebt wird eine physische und mentale Tiefenentspannung.

Adelheid Rumetshofers neue Bilder auf Kupferplatte entstehen nicht durch Übermalung in mehreren Schichten sondern durch Wegnahme von Farbe mittels Schleifpapier.
Tabula rasa macht X-Strahlung einer Festplatte sichtbar.

Hannah Winkelbauer sieht die Bilder dieser Künstlerin „trotz ihrer Gegenstandslosigkeit hochpoetisch“.  Ich erlaube mir zu ergänzen: vielleicht gerade deshalb.
Nichts lenkt ab; beschäftigt sind wir mit dem, was wir noch zu sehen meinen – am Ende von Endlichkeit den Anfang von Unendlich? Sind konfrontiert mit dem Fast-nicht-mehr, mit dem Konzentrat, mit der Fülle aus allem. Und das Nichts lauert.

In diese Gegend schickt uns Adelheid Rumetshofer, dorthin, wo alle Bilderzählungen ihr Ende finden.

Der Blick in den Spiegel fordert zur Selbstbefragung auf, nicht zur Selbstspiegelung.
Wie in einem „Farbsog“ werde ich in die Tiefe gezogen –  in jegliche Untiefe.
Das Bild nimmt mich mit, saugt mich ein, saugt mich auf, ohne etwas von mir zu zeigen und ohne mir etwas mitzuteilen. Es fordert auf, mich zu erfinden – immer: im Augenblick.

Adalbert Stifter, „Der Hochwald“:

„Da in diesem Becken buchstäblich nie ein Wind weht, so ruht das Wasser unbeweglich, und der Wald und die grauen Felsen, und der Himmel schauen aus seiner Tiefe heraus, wie aus einem ungeheuern schwarzen Glasspiegel. Ueber ihm steht ein Fleckchen der tiefen, eintönigen Himmelsbläue. Man kann hier Tagelang weilen und sinnen und kein Laut stört die durch das Gemüth sinkenden Gedanken, …  Oft entstieg mir ein und derselbe Gedanke, wenn ich an diesen Gestaden saß: – als sei es ein unheimlich Naturauge, das mich hier ansehe – tief schwarz – überragt von der Stirne und Braue der Felsen, gesäumt von der Wimper dunkler Tannen – drinn das Wasser regungslos, wie eine versteinerte Thräne. …“

Bin ich geborgen oder werde ich verwiesen in diesen Bildern, die als undeutlich, konturlos, wolkig, verschwommen beschrieben werden? Wird mir dort der Boden unter den Füßen entzogen, wo als letzte Verankerung im Gewisslichen das Horizontale in die Vertikale greift, das Helle und Dunkle in Abhängigkeit einander durchdringen, der Farbauftrag fast alles Richtungsweisende im Lichtraum, der die Welt er- und umfasst, auflöst.

Entferne ich mich, oder komme ich an? Irgendwo. Wo ich noch niemals war. Daheim? Verführt zur unverstellten Realität?

Sie sind also geblieben die Fragen, woher ich komme, wohin ich gehe. Welchen Weg ich nehme – und bin dabei vielleicht doch wieder auf der Suche nach dem Bild im Bild.

Wolfgang Maria Reiter ist Leiter der Galerie Forum Wels

Die Ausstellung „Vom Erscheinen und Verschwinden“, Adelheid Rumetshofer und Willibald Katteneder war vom 4. bis 27. Oktober 2018 in der Galerie Forum Wels zu sehen.